"Passt gut auf euer Land auf!"

Ein syrischer Zahnarzt über die Asylproblematik und Gründe, nach Deutschland zu kommen

Für mehr Verständnis Türen öffnen, das ist das Anliegen einiger engagierter Herzbergerinnen.
Für mehr Verständnis Türen öffnen, das ist das Anliegen einiger engagierter Herzbergerinnen.

Wie derzeit in jeder Woche traf sich auch am vergangenen Dienstag ein kleiner Kreis von Asylbewerbern und Herzbergern in der Seitenkapelle der Stadtkirche St. Marien. Vielsprachiges Gemurmel. Bei Kerzenschein und Tee sprachen vorwiegend junge Männer miteinander auf Englisch, Deutsch, Russisch und Arabisch. Hinter ihren Gesichtern sind viele Geschichten verborgen.

 

Herzberg. Auch ein 39-jähriger syrischer Zahnarzt war am Dienstag in die Seitenkapelle gekommen. Er ist seit vier Monaten im Hohenleipischer Heim für Asylbewerber untergebracht und hatte in Herzberg gerade einen Freund besucht. „Passt gut auf euer Land auf!“, waren seine ersten Worte. Es ging um Pegida. „Ich verstehe sehr gut, warum uns viele ablehnen. Die USA finanzieren Kriege und Deutschland finanziert die Flüchtlinge. Viele strömen nach Deutschland, erklären, sie wünschen Asyl. Danach folgt ein Fünf-Minuten-Gespräch, die Anhörung mit einem Psychologen, der feststellt, ob vor ihm ein Flüchtling, ein Spezialist, ein Krimineller oder ein Terrorist sitzt. Im Asylbewerberheim kommen anschließend alle zusammen und warten“ , sagt er.


Der Zahnarzt erzählt, dass er Mitbewohner oft gebeten habe, sich an die landesüblichen Gepflogenheiten zu halten und nicht auf dem Zimmer zu rauchen oder Alkohol zu trinken. Ohne Erfolg. Das Miteinander sei alles andere als einfach. Er nennt die Auffälligen im Heim Kriminelle und wirkt dabei besorgt.

 

Sozialarbeiter hätten hier alle Hände voll zu tun. Und doch sind sich alle am Dienstag anwesenden Asylbewerber einig: Die Situation der Flüchtlinge ist in Deutschland humaner als anderswo. „Die meisten von uns sind über Italien gekommen. Ich selbst habe vierzehn Stunden auf dem Mittelmeer zugebracht - schwimmend, nachdem das Schiff gesunken war. Aber das ist im Vergleich zu ihm da“, er deutet auf einen seiner Nachbarn, „gar nichts. Er war sieben Tage auf offener See. Wenn ich abends die Augen schließe, werde ich hin und her geworfen. Wir brauchen alle ärztliche Hilfe“, lässt der Mediziner wissend, aber nicht fordernd anklingen. „Es vergeht keine Stunde, in der ich nicht an meine Familie denke. Meine Frau und meine drei Kinder sind in Gefahr. Sie verstecken sich in einem Dorf vor den ISIS-Truppen.“

Große Angst um die Familie 

Der Zahnarzt erzählt, wie alles begann. In der Runde wird es still. „Ich habe eine staatliche Poliklinik geleitet. Meine Frau besaß eine Apotheke. Wir hatten alles: Wohneigentum, eine gute Ausbildung, Pläne für unsere Kinder. Syrien war ein stabiles Land. Sicher, wohlhabend, gebildet.“ Als die erste Rakete in die Klinik einschlug, dachte er, das seien Unruhen, die vergehen. Als der Schulweg seiner Kinder zu gefährlich wurde, engagierte er einen Privatlehrer. „Dann fand ich in der Tasche meiner Tochter einen Brief für mich. Dort stand: ’Verschwinde hier, sonst verlierst du deinen Kopf’. Tage zuvor war mein Freund, ein Arabischlehrer, enthauptet aufgefunden worden. Sein Vergehen: Er wollte seine Frau nicht hergeben. Mein Vergehen war, dass ich als Arzt allen geholfen habe. Christen, Afrikanern, Moslems. Das ist ein Verbrechen für islamische Extremisten“, erzählt der Zahnarzt. Er wirkt gefasst und ruhig und er zeigt auf seine linke Wange. „Diesen Knochen haben sie mir gebrochen, als ich sagte, dass ich Moslem bin wie sie. Sie entgegneten mir, ich sei Kurde, ich sei kein Moslem und sie schlugen zu.“

Die Runde in der Seitenkapelle der Kirche schwieg jetzt. „Das meinte ich mit dem Satz: Passt gut auf euer Land auf! Ihr habt noch eins. Wir alle hier haben keins mehr. Jede Form von Extremismus ist eine ernste Gefahr“, so der Zahnarzt aus Syrien.

Schwer zu begreifen

Das Thema Asylpolitik ist in der Region Herzberg auch außerhalb der Treffen in der Kirche präsent. Was in Dresden und Leipzig passiert, lässt die Menschen vor Ort nicht kalt. In dieser Woche äußerte sich ein Autor des Herzberger Heimatkalenders, ein promovierter Naturwissenschaftler, in der Buchhandlung „BücherKammer“ sehr kritisch zum Thema Einwanderung: „Mit Deutschland verhält es sich so, wie mit der Metallveredlung: Nur bis zu einem gewissen Grad verbessern sich die Eigenschaften einer Legierung. Wird dieser Punkt überschritten, dann wird das Metall unbrauchbar.“ Ein sehr bedenkliches Gleichnis.

Am Donnerstag stand an selber Stelle ein ehemaliger Lehrer. Er meinte betroffen, er begreife nicht, was in Dresden und andernorts passiere. Sein Sohn erwarte ein Kind mit einer Deutschen, deren Vater Afroamerikaner ist. Sie planen aus Dresden wegzuziehen. Aus Angst.

Stephanie Kammer

 


In Herzberg gibt es einen Kreis engagierter Frauen, die sich um konkrete Flüchtlingshilfe vor Ort bemühen. Sie begleiten die Neuankömmlinge bei Behördengängen und Arztbesuchen. Sie laden zu Treffen ein, beschaffen, was gebraucht wird und suchen das Gespräch mit Migranten und Ämtern. Unter dem Motto „Buntes Herzberg“ setzen sie sich für mehr Verständigung zwischen Einheimischen und Zuwanderern ein. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0