Heimkehr nach Osteroda

Ingeborg von Rotenhan, Tochter des Widerständlers Gerd von Tresckow, kehrt an den Ort ihrer Kindheit zurück

Ingeborg und Eyring von Rotenhan leben seit einigen Jahren auf Schloss Neuenhof bei Eisenach. Der Familienbesitz wurde 1945 enteignet und konnte nach der Wende von der Familie zurück gekauft werden.    

Osteroda. Die Familie nannte das Dorf liebevoll Osterödchen. Vor mehr als 80 Jahren begann hier ein kleines Glück zu wachsen. Gerd von Tresckow kaufte das Rittergut Osteroda und zog mit seinen Töchtern und Ehefrau Erika dorthin. Er träumte von einem Leben als Landwirt, liebte die Jagd und die Beschaulichkeit fernab der pulsierenden Städte. 1938 kam Ingeborg auf die Welt. Ihre ersten Schritte tat sie in Osteroda. Mutter und Vater herzten die Kinder und bemühten sich, den Gutsbetrieb ins Rollen zu bringen. Ihr Glück hätte weiter gedeihen können, wäre Deutschland seinerzeit nicht in den Zweiten Weltkrieg gesteuert.

 

Ingeborg von Rotenhan lebt heute in Eisenach. In ihrem Wohnzimmer sprechen alte Fotos und kleine Erinnerungsstücke eine besondere Sprache: die der Vergangenheit. Jedes Bild könnte ein anderes Kapitel deutscher Geschichte erzählen. Das Porträtfoto ihres Vaters ein ganz besonderes. Denn Gerd von Tresckow war durch seinen Bruder Henning eng mit den Kreisen des Hitler-Widerstandes verbunden.     

Henning von Tresckow, der Onkel von Ingeborg, gilt als Architekt der Attentatspläne vom 20. Juli 1944. Deren Ziel war ein Deutschland ohne Hitler. Davon träumte auch Gerd von Tresckow, das aber bereits viele Jahre zuvor. In privaten Briefen machte er seinem Ärger über die Nationalsozialisten Luft: „Mit Terror und Gewalt kann jeder Esel regieren“, schrieb Gerd an Henning, wohlwissend, dass dieser damals noch den von Hoffnung und Not an die Macht gespülten Nazis nahestand. Er bezeichnete den Führereid unverhohlen als „Gewissensknechtung“ und sah kommendes Unheil aufziehen: „Die Besten sind es nicht, die uns regieren und damit ist die Gefahr da, dass die ganze Nation diskreditiert wird und der Misserfolg nachher uns in die Schuhe geschoben wird. Verfluchte Schweinerei!“. Das, was wie eine Prophezeiung klingt, hatte Gerd von Tresckow wiederum seinem Bruder Henning geschrieben. Ausgesprochen früh, 1934 und ausgesprochen klar. Er kritisierte den Populismus der Nazis, verachtete deren Großspurigkeit. Lehnte ab, wie sie Trug und Lüge zu gängigen Machtinstrumenten etablierten.

 

Zugleich litt er an einer starken inneren Zerrissenheit. Als Spross eines preußisch-märkischen Adelsgeschlechts mit langer militärischer Familientradition, war er bereits als Siebzehnjähriger im Ersten Weltkrieg. Ab 1937 trat er wieder in den aktiven militärischen Dienst als Ausbilder ein. Er diente einem Vaterland, dessen Führung er ablehnte. Dennoch fühlte er sich seinem Land verpflichtet. Einem Land, das ihm inzwischen mehr als fremd geworden war.  

Das letzte gemeinsame Familienfoto mit Gerd von Tresckow beim Heimaturlaub 1943: Töchter Ingeborg und Mechthild, Mutter Erika und Gerd (v.l.).
Das letzte gemeinsame Familienfoto mit Gerd von Tresckow beim Heimaturlaub 1943: Töchter Ingeborg und Mechthild, Mutter Erika und Gerd (v.l.).

Während er seinen Dienst versah, übernahm seine Frau Erika die Führung des Rittergutes in Osteroda. Der Erträge fielen spärlicher aus als erwartet. Als 1940 ein Feuer ausbrach, verkaufte die Familie das Gut und zog nach Falkenwalde. Ingeborg war damals nicht mehr als ein kleiner Dreikäsehoch. „Meine Mutter erzählte gern von Osteroda. Sie hatte es nicht leicht. Die Arbeit war beschwerlich. Sie kochte aus Schweineknochen sogar Seife selbst, stemmte den Gutsbetrieb eigenständig, während mein Vater andernorts stationiert war.“ Ingeborg von Rotenhan sieht ihren Vater noch vor sich: „Er war groß, sehr gläubig, gutmütig und geradlinig. Er litt an den Verhältnissen, sprach mit uns Kindern jedoch nie darüber.“ Im Sommer 1944 war er schließlich in Italien stationiert. Er war chronisch krank und verbrachte viel Zeit im Lazarett. „Als mein Vater vom gescheiterten Attentat durch Stauffenberg erfuhr, meldete er sich bei seinem Vorgesetzten und erklärte, dass er ein Mittwissender sei. Für diesen Fall hatten die „Verschwörer“ ausgemacht, sich das Leben zu nehmen, um bei Folter keine Namen Preis zu geben“, spricht Ingeborg von Rotenhan weiter. Gerd von Tresckow wurde nach Berlin gebracht in das Gefängnis Lehrter Straße. Nach einer „verschärften Vernehmung“, die nichts anderes als Folter bedeutete, versuchte er, sich die Pulsadern zu öffnen. Er starb unmittelbar darauf an Herzversagen als Folge der Brutalitäten im Verhör, wie persönliche Aufzeichnung der Gefängnisärztin erst kürzlich zeigten. Der Familie war es untersagt worden, den Leichnam zu bestatten. 

Ingeborg von Rotenhan besitzt demnach nur wenige Gedenkorte für ihren Vater, den sie nur als kleines Mädchen kennen lernen durfte. Osteroda ist nun neu hinzugekommen. Dort möchte sie am 3. Oktober ein Rotdornbäumchen pflanzen. Nach über achtzig Jahren kommt sie an den Ort ihrer Kindheit zurück. Eine späte und dennoch kostbare Heimkehr.         

Stephanie Kammer

 

Am 3. Oktober wird am Gutshaus, in der Grünen Lunge, in Osteroda die Baumpflanzung stattfinden. Eingeladen sind alle Osterodaer und alle interessierten Gäste. Beginn: 9.30 Uhr.