Kevin-Luca meint: Genug erinnert!


iPad heute bestellt, morgen geliefert. Läuft. Vom Klodeckel mit New-Yorker Skyline bis hin zur Palisander-Geige ist alles, was das Leben nötig hat, über Nacht lieferbar. Geht doch. Versandkostenfrei für Prime-Kunden. Geile Gegenwart. Schmusige Zukunft, denkt Kevin-Luca.

 

Wozu überhaupt erinnern? Ein Erinnerungsboom nach dem anderen! Luther, Reformation, Fontane. Ernste Gesichter, lange Reden und andere Ego-Booster und dazu Denkmäler. Bröckelndes Gemäuer und supersofter Retro-Murks. Erinnerungsorte sind Gedankenfriedhöfe. Weder schön, noch unterhaltsam. Schlaffes Enterbrainment. Für eine geschmeidige Work-Live-Balance völlig untauglich. Und was da erzählt wird – Geschichte – ist megalangweilig. Steckt gewöhnlich in Büchern drin. Dort soll sie bitte bitte bleiben. Zugeschlagen, staubig und schon bald entsorgt, hofft Kevin-Luca im Stillen.

Vielleicht taugen ja die Seiten der Geschichtsbücher als Toilettenpapierersatz? „Wenn ich chillig in meinem Bad auf meiner New Yorker Skyline throne und dabei der Palisander-Geige schräge Sounds entlocke, könnte ich was für die Umwelt tun und den Geschichtsbüchern seitenweise eine angesagte klimafreundliche Zweitverwendung zuführen“, sagt Kevin-Luca zu sich selbst. Die Idee ist schlau. Macht er einen Livehack von, freut er sich. Bei Oma hieß das früher Haushaltstipp oder Kniff. Via Youtube will er alles online stellen. Bringt ganz viele Likes. Ihr wisst schon, Gefällt-mir-Daumen ein. „Alter Lachs, Geschichte kann ja doch irgendwie cool sein!“, ist Kevin-Luca geflasht, also Feuer und Flamme.  

 

Das iPhone angeswitcht, die Kamera an. Go! Kevin-Luca ist jetzt live, online, im Netz: „Hey Leute, zeige euch heute einen echten Livehack, hier aus meinem Klo-Studio. Was machen mit all den staubigen Büchern? Stehen nur rum und werden dinoalt. Ich hab die Lösung: Zuerst der Heimatkalender von Oma. Krass, das Teil. Den gibt´s jedes Jahr. Und immer wieder wärmt er das, was früher mal war, süßsäuselnd auf. Schon der Name: Heimat! Abgeranztes Kaff, nenn ich das. Krieg ich Analhusten von. Aber immer schön cremig und nice bleiben. Mich soll hier keiner als Kulturleiche abstempeln. Ich schlag einfach mal auf und dann geht’s der ersten Seite an den Kragen. Wart mal, da geht’s um Genreserven? Hammer! Also die Seite schon mal nicht. Da die hier. Kids machen den Maulwurf, also helfen im Garten, und hauen sich den Wanst mit Mohn voll? Wie geil ist das denn? Können am Ende nicht kack..., also ihr Gesäß husten lassen? Boah! Puhlen die braune Snickersmasse mit Mutters Haarnadel aus ihrem … No! Ich brat mir ein Eis! Leute, die Seite auch nicht. Ist wertvoll.“

 

 

„Hey Kevin-Luca, komm endlich vom Klo. Ich muss mal“, brüllt Oma jetzt durchs Schlüsselloch. „Ey Leute, kurze Break, äh Pause, bin gleich zurück, live aus meinem Klo-Studio“. Kevin Luca zieht die Hose hoch, packt das Handy in seine PO-Tasche, schwirrt an Oma vorbei. „Hey Omsel, will nicht stören, wenn zu dir der Schokowagen kommt“, küsst er Oma die Wange. Die zieht ihm den Heimatkalender aus der Hand und sagt: „Kleiner, der ist noch nichts für dich. Ist langweilig. Lass den mal schön für den Opa und mich. Hast doch dein iPhone und W-LAN“, knufft Oma Kevin-Luca ihn in die Taille. Kevin-Luca rafft gerade gar nichts. Oma macht die Klotür zu. „Du hast deine Palisander-Geige vergessen“, ruft Oma und steckt den Kopf samt Geige wieder in die Tür. „Den Heimatkalender brauch ich noch mal“, piepst Kevin-Luca. „Nixda. Der ist erst ab 60 +.“ „Live is a bitch“, denkt Kevin-Luca. Das Leben ist eben ungerecht!