Knet dir deine eigene Welt!

Ein Mutmach-Update in wilden Zeiten

Corona rückt näher I Zeichnung: Stephanie Kammer, Grafik: Capella Lehmann
Corona rückt näher I Zeichnung: Stephanie Kammer, Grafik: Capella Lehmann

HERZBERG. Wenn ich zurzeit die Floskel „Alles gut bei euch?“ höre, fühle ich mich ans Theaterspielen erinnert. Denn momentan ist eigentlich gar nichts gut. Jede Heiterkeit wäre gespielt. Im Freundeskreis zerbricht eine Familie. Der Gedanke an die Kinder macht mich unendlich traurig. Mein Onkel stirbt, es gibt kein Abschiednehmen, keine Trauerfeier für die Familie. Corona rückt immer näher, infizierte Lehrer und Eltern, Schule zu, Hort zu und alle ringen um Lösungen, von denen man erst in ein paar Monaten wenn nicht Jahren wissen wird, ob sie richtig sind. Meine Schulfreundin, die in Peking lebt, schreibt: Wir werden diskriminiert. Wir Ausländer sollen schuld sein am Virus, dazu jeden Tag Luftverschmutzung und pausenloses Lüften in den Schulen. Parallel dazu verkünden die Nachrichten, wie explosiv die Stimmung am anderen Ende der Welt, in den USA ist. Obendrauf eine Meldung, dass genau dort die Zustimmung für Trump bei der Wahl am größten war, wo Corona am meisten gewütet hat. Ich frage mich, ob der Mensch in den vergangenen 4.000 Jahren überhaupt irgendwelche nennenswerte Fortschritte gemacht hat?

 

Ich frage mich, wie man künftig leben wird, wenn uns das Gefühl von Wahrheit und Sicherheit komplett abhanden kommt. Wahrheit, Fakten, gesichertes Wissen sind für mich wie die Statik eines Hauses. Gehen sie verloren, zerbricht alles. Da hilft doch nur Flucht. Flucht wohin? In die Vergangenheit?

 

Seit 18 Jahren beschäftige ich mich mit Heimatgeschichte. In jedem Kirchenbuch, in jeder Ortschronik, in Zeitungen lässt sich nachlesen, dass unsere Vorfahren regelmäßig mit Seuchen zu kämpfen hatten. Dr. Wagner aus Schlieben beschrieb, wie sich ein halbes Dorf mit lebensgefährlichem Fieber infizierte. Erst Einer - nach einer Woche das halbe Dorf. „Ein großes Sterben grassiert“ – nachlesbar etwa aller fünfzig Jahre, fast überall, gehäuft nach Kriegen mit großer Mobilität und „viel umherziehendem Soldatenvolk“. In den vergangenen 100 Jahren dann deutlich weniger Epidemien - dank der modernen Medizin. Unser jetzt so erschüttertes Sicherheitsempfinden durfte auf diesem Boden wachsen.

 

Für einen guten Bekannten, der längst zu einem Freund geworden ist, habe ich ein Abschiedsgeschenk in Auftrag gegeben. Eine kleine liegende Glasflasche, wie eine Flaschenpost. Darin eine selbst geknetete Miniaturwelt, die die wichtigsten Dinge in seinem Leben abbilden soll: ein Segelschiff voller Noten (für den KulturFreund), dazu ein Kasper (für den Theater-Freund) und ein Känguru (für den Australien-Freund in ihm) als Besatzung. Dabei ging mir ein Licht auf.

Wir sollten uns alle mal wieder überlegen, was uns von Herzen Freude macht. Das alles wird nicht untergehen, sondern nur eine Weile auf uns warten müssen. Die See ist rau zurzeit. Niemand weiß genau, ob wir auf einem guten Kurs sind. Aber das, was uns Freude macht, haben wir in der Hand. Wir können es retten, aufpeppeln oder schlimmstenfalls wieder lebendig machen. Kneten wir uns unsere eigene Welt und schützen wir sie, so gut es eben geht. Alle, die das nicht können oder nicht wollen, bitte ich darum, die kleine Knetwelt des Anderen nicht kaputt zu treten. Unser Umgang miteinander wird entscheiden, wie wir durch diese wilde Zeit kommen. Ein bisschen erschöpft aber friedlich wäre am schönsten. Bleibt alle gesund, versöhnlich und großzügig miteinander. Niemand kann etwas für diese Situation. Wir sind nicht aus deutschem Hartholz sondern wohl eher Knetfiguren, die sehr leicht Schaden nehmen, die sich aber auch gegenseitig bollestark machen können.  

Stephanie Kammer 

Die Hoffnung ist bunt: Dr. Olaf Meier hat  diesen tollen Regenbogen mit aufgehender Sonne im Rücken eingefangen
Die Hoffnung ist bunt: Dr. Olaf Meier hat diesen tollen Regenbogen mit aufgehender Sonne im Rücken eingefangen