BücherKammer Adventskalender Türchen Nr. 10
WERBEOPFER. Als kleine Göre gab es für mich ein Paradies. Es lag nicht in der Südsee. War kein Disneyland oder Dinopark. Mein Paradies war der Intershop in Finsterwalde. Der Weg dorthin war ein Abenteuer und die Vorfreude darauf ließ mich tagelang nicht schlafen. Nicht selten fuhr meine Mutti mit meiner Schwester und mir in den Shop. So nannten wir das. Am Stadtbahnhof stiegen wir in die Bahn. Türen öffneten und schlossen damals nicht automatisch. Es kursierten Horrorgeschichten über Kinder, die aufs Klo im Zug wollten und dabei die falsche Tür erwischten und so aus dem fahrenden Abteil herausgerissen wurden. Die blutigen Details verkneife ich mir. Es war diesen Gerüchten geschuldet, dass ich mich schon als Heldin sah, wenn ich heil und unbeschadet eine Zugfahrt überlebt hatte.
Und dann winkte die Belohnung. Der Shop war eine Wunderwelt. Dieser Geruch von Weichspüler kitzelte in der Nase. Er war fremd und erzählte von den Verlockungen der großen weiten Welt. Hier gab es Kinderüberraschung, Schlümpfe von Schleich, Haribo und Milka-Schokolade. Das war ein Fest, ein Knaller, das ganz Besondere. Meine Gummibärchen hütete ich. Ich baute aus den großen Taschentüchern meines Vaters Schlafstellen für die Haribo-Bärchen. Dass meine Schwester mir hin und wieder einen klaute und verschlang, kann ich ihr bis heute nicht ganz vergeben. Ich kaute die schwarzen Lakritzschnecken von Haribo wie ein französischer Gourmet, obwohl sie total eklig schmeckten.
Manchmal träumte ich auch als Kind von unseren Shop-Besuchen. Es war so ein Traum, von dem man träumender Weise weiß, dass man ja gerade träumt. Ich dachte mir also im Traum, wenn du jetzt das Nimm-2-Bonbon beim Schlafen im Mund behältst, dann wachst du mit ihrem blumig-fruchtigen Geschmack auf der Zunge auf. Das klappte so nicht. Der Morgen-Pelz-Geschmack war da wie eh und je. Ich erkannte schon als kleine Kröte: Kostbar war das, was schwer zu erreichen war. Und ich war von der vielen Werbung im West-Fernsehen verblendet. Aber zutiefst glücklich dabei.
Ja, ich war der Reichsbahn damals immer dankbar, weil sie mich zu meinem Glücksort kutschierte. Das El Dorado der West-Produkte, der Schlümpfe und Gummibären. In Finsterwalde – für mich ein strahlender duftiger Kindheitsort, wo Schlümpfe und Gummibären frohlockten.
Was verbindet ihr mit Bahnhof, Zugfahrten und der Eisenbahn früher?
Schreibt mir! buecherkammer@t-online.de
Stephanie Kammer