Wenn die eigentlich ganz Lieben anfangen zu hassen

Offene Worte über den Besuch von Prinzen-Kapitän Sebastian Krumbiegel am 20. Februar in Herzberg

Miteinander reden – vielleicht das einzige Heilmittel für diese unheimlichen Zeiten. (Fotos: Christian Poser)
Miteinander reden – vielleicht das einzige Heilmittel für diese unheimlichen Zeiten. (Fotos: Christian Poser)

Herzberg. Es fühlt sich schon wieder viel zu weit entfernt an, dass der Leipziger Musiker Sebastian Krumbiegel auf unsere Einladung hin in Herzberg zu Gast war. Die Vorzeichen für den ersten Abend unserer Gesprächsreihe „Eine Runde Tacheles“ waren nicht gut.

 

Ein Blick zurück: Am 27. Januar 2024 fand in Herzberg auf dem Markt die vom „Netzwerk gegen Rechts Elbe-Elster“ organisierte Anti-Rassismus-Demo statt. Ich ging hin. Hatte mein Firmenlogo auf den Ankündigungsflyer setzen lassen – wie auch die Kirchen und viele Parteien. Wie es lief, wissen wir. Eine Initiative mit einem guten Ansinnen wurde gestört, sodass abgebrochen werden musste. Ich gebe zu, dass auch ich Angst bekam, als der Sattelschlepper mit anreisenden Landwirten auf der Ladefläche viel zu schnell auf die Menschenmenge zufuhr. Das Hupen und der Lärm der Traktoren verunsicherten zusätzlich. Ich beruhigte mich. Da waren ja auch Transparente wie „Landwirtschaft ist bunt“. Nach einer Stunde kippte die Stimmung. Irgendjemand musste den Platz verlassen. Traktorenlärm, Hupen, Sprechchöre und Flüstertüten. Die Organisatoren brachen ab. Vier Tage später bekam ich Besuch. Ein „besorgter“ Landwirt, den ich gut kenne. Seine Befürchtung: „Alle radikalisieren sich.“ Wir redeten zwei Stunden lang. Einen Satz bekomme ich nicht mehr aus meinem Kopf: „Manche sind so angespitzt, wenn jemand in Ungnade fällt, erkundigen die sich immer sofort danach, ob derjenige Kinder hat.“ Wie zynisch, so etwas einer vierfachen Mutter unter die Nase zu reiben. Ich fragte ihn: „Willst du mir drohen oder mich warnen?“ Seine ausweichende Antwort überzeugte mich nicht.  

Meine alte Kollegin von der LAUSITZER RUNDSCHAU hatte zu diesem Zeitpunkt in zwei Artikeln von der Demo berichtet. Sie bekam dafür massig bitterböse Mails und Nachrichten – ein Shitstorm erster Klasse. Auch mich erwartete ein herabwürdigendes Dauerfeuer beleidigender Kommentare, als ich den Livestream unseres Gesprächsabends mit Sebastian Krumbiegel in den sozialen Medien ankündigte. Der eigentlich ganz liebe Herr Nachbar: „Steigbügelhalter für Rot-Grün“. Ein anderer: „Ist das nicht der Typ, der sich zur Antifa bekennt und sich als Corona-Jünger in Szene setzte? Genauso ein Kriecher wie Maffay, Lindenberg und andere.“ Ich dachte:

 

Kein seelischer Notstand der Welt rechtfertigt solch einen Doppelmord am eigenen Anstand, an der eigenen Ehre!

 

Etwa zeitgleich erfuhr ich, wie der Versammlungsleiter der Demo vom 27. Januar massiv bedroht und unter Druck gesetzt wurde. Es gab noch mehr wütende Reaktionen Richtung Stadt Herzberg und Kirche. Ich fing an, meine Stadt, die immer die größte Kraftquelle für meine Arbeit und für mein Engagement war, in Gedanken zu verfluchen: „Seid ihr denn alle bescheuert?“ Dieser verbale Missgriff zeigte, wie ich ins Wanken kam und gerade ein Stück Menschenliebe als Tribut zahlte.

 

Und dann kam Sebastian Krumbiegel kurz vor 18 Uhr am Dienstag, dem 20. Februar 2024, in die Stadt. Sein Auto stellten wir auf unserem verschlossenen Grundstück ab. So hatte es ein befreundeter Polizist geraten. „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste“, waren seine Worte. Wir hatten noch eine Stunde Zeit bis zum Beginn der Veranstaltung. Saßen schließlich am Küchentisch und tranken erst zu schwachen, dann zu starken Kaffee. Wir redeten mit einer Vertrautheit, für die man in normalen Zeiten wohl zehn Jahre braucht. Ich beobachtete genau und hörte ihm zu. Da saß ein Mensch, der Mut zur Sanftmut besitzt. Jemand, dessen Stärke sich aus Bodenständigkeit, der Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, und viel viel Geist speist. Wir redeten über die Turbulenzen und Unwetter unserer Zeit. Über Lieder, die gerade im Songschmiedefeuer zu glühen beginnen.

 

Immer wieder die Frage: Gelingt es noch, die vielen gekappten, zwischenmenschlichen Drähte zu erreichen und vielleicht sogar zusammenzuführen?

 

Dann der Schlachtplan für das Interview. Wir einigten uns auf lockeres Entertainment, persönliche und ehrliche Worte und klare politische Botschaften, immer dann, wenn Aktuelles zur Sprache kam.     

Kleines Dankeschön aus Elbe-Elster: Sebastian Krumbiegel nahm eine Sebastian-Handpuppe mit nach Haus.
Kleines Dankeschön aus Elbe-Elster: Sebastian Krumbiegel nahm eine Sebastian-Handpuppe mit nach Haus.

So stürzten wir uns in „Eine Runde Tacheles mit Sebastian Krumbiegel“. Zweihundert Leute waren dabei. Ausverkaufte Hütte, viel Applaus von Anfang an. Sebastian erzählte viel Biografisches: Die Oma, die ihm Haltung-Zeigen ins Herz pflanzte. Dazu der ganze DDR-Wahnsinn: NVA, Aufbegehren, Wende und dann der große Durchbruch mit den Prinzen. „Wir waren fleißig, hatten Unterstützung und wahnsinnig viel Glück“, blickte der Prinzen-Frontmann dankbar zurück. Auch die harten Nüsse kamen zur Sprache. Pandemie, politisch salonfähig werdender Hass, der Kampf um Meinungshoheit. „Ich trau mich nicht, es zu sagen“, flüstert Sebastian Krumbiegel mit einem Augenzwinkern in die Runde. „Ich ticke sozialdemokratisch.“ „Es ist sicher hier, sag’s ruhig laut“, fügte ich an. In die Gesichter des Publikums sprang Heiterkeit. Wie gut, wenn man über die eigentlich unerträglichen Nadelstiche unserer Zeit einfach mal lachen kann.

 

Ganz vorn in der ersten Reihe ein Mann, der in seiner Nachbarschaft dafür bekannt ist, gern rechts außen zu hetzen und zu poltern. Als sich nach etlichen Song-Zugaben und stürmischen Applauswellen die Leute im Bürgerzentrum zu Standing Ovations erhoben, war auch er dabei. Mit vielen anderen tummelte er sich auf der Bühne und bat mich schließlich, mit seiner Kleinbildkamera ein Foto mit ihm und Sebastian zu schießen. Mir selbst fielen währenddessen Steine vom Herzen, denn im Allgemeinen ist die Lage viel ernster, und es ist mittlerweile alles andere als selbstverständlich, eine Kulturveranstaltung störungsfrei und sicher durchzuziehen.

 

Am nächsten Tag flog mir viel Lob für uns um die Ohren. „Danke für einen gelungenen Abend. Die ‚Runde Tacheles‘ war mehr, als ich mir vorgestellt habe. Ihre Einleitung über Glück hat mich sofort ergriffen und gespannt konnte ich den ganzen Abend genießen. Was für ein Glück, Herrn Krumbiegel und Sie so kennenzulernen. Ein Glück, auch Meinungen so hören zu können. In dieser politisch aufgeregten Zeit hat es auf angenehme Weise zum Nachdenken angeregt“, schrieb Ines Möbius.

 

„Ein Abend mit hohem Symbolwert“,

 

rief mir Theaterfreund Reinhard Straach auf der Straße zu. Der Stadtverordnete Marco Hammer war via Livestream dabei. „Dankeschön für den schönen, etwas anderen Abend. Ich liege nach meiner Fuß-OP auf der Couch und habe mit meiner Frau den Abend genossen. Sogar ein Udo-Song! Rio Reiser als Schluss war großartig“. Am Ende noch ein starker Support aus Schlieben. „Wir wünschen uns auch sowas Tolles für unsere Stadt“. Also gibt es ein Wiedersehen in Elbe-Elster im Mai. Die Planungen laufen.

 

 

Stephanie Kammer